Mensch und Gottesbild, wer ist wessen Ab-Bild?
In der alttestamentlichen Schöpfungsgeschichte (1. Mose 1,26 -28) wird einerseits überliefert, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde erschuf und wenig später ihm auftrug, sich fruchtbar zu mehren und sich die Erde untertan zu machen.
Dieser über dreitausend Jahre alte Text hat entscheidend zum Verhältnis des Menschen zur Natur beigetragen. Allerdings auch zu einem Missverständnis in der Deutung der Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Denn die Ausgestaltung der Schöpfungsgeschichte mit ihren Herrschaftsansprüchen trägt vielmehr die Handschrift der Menschen und entfernt sich m. E. zunehmend von der Weisung Gottes.
Dies möchte ich im weiteren Verlauf darlegen.
Ein über dreitausend Jahre alter Text spiegelt auch das kollektive Bewusstsein des Welt- und Naturverständnisses seiner Zeit wieder. Einer Zeit aus der sich aus der Vielzahl von Göttern ein monotheistisches Gottesverständnis herausbildete. Statt vieler Götter nur noch einen Gott. Die Verehrung der Naturgottheiten zentrierten sich auf einen Schöpfergott.
Wir können darin entwicklungsgeschichtlich eine Differenzierung des Gottesbildes sehen. Die Frage, die sich heute u. a. stellt, ist, soll dieses Gottesbild dreitausend Jahre unverändert und unverrückbar Bestand haben? Und wohin könnte/müsste es sich entwickeln?
Die feministische Theologie hat die patriarchalen Aspekte des Gottesbildes nicht nur in Frage gestellt, sondern auch angeklagt, welche Frevel mit Bezug auf dieses patriarchale Gottesverständnis begangen wurden. Die mutigen Theologinnen haben entscheidend dazu beigetragen, die patriarchalen Züge des alten Gottesbildes aufzudecken und angeregt, dieses Bild zu korrigieren.
Ein Beleg dafür, dass Gottesbilder vom kollektiven Bewusstsein der jeweiligen Zeit geprägt sind und davon befreit werden müssen. Die unbestreitbare Existenz einer Gotteskraft wird den kollektiven Vorstellungen der Zeit unterworfen oder auch instrumentalisiert, um patriarchale Herrschaftsverhältnisse zu legitimieren. Unser kollektives Bewusstsein hat sich von der patriarchale Prägung des Gottesbildes abgewendet und sucht nach matriarchalen Ergänzungen des einseitigen Gottesbildes. Es könnte um eine integrative Vervollständigung des Gottesbildes gehen; weder männlich noch weiblich, sondern sowohl männlich als auch weiblich.
Mir fällt in diesem Zusammenhang, auch wenn es nicht ganz passt, die "Geschichte vom Herrn Keuner" von Bertolt Brecht ein:
"Was tun Sie",
wurde Herr K. gefragt,
"wenn Sie einen Menschen lieben?"
"Ich mache einen Entwurf von ihm",
sagte Herr K.,
"und sorge, dass er ihm ähnlich wird."
"Wer? Der Entwurf?"
"Nein", sagte Herr K., "der Mensch."
Den Begriff Schöpfung möchte ich in einem Symbol umschreiben: dass aus einem Gefäß geschöpft wird. Das Gefäß (der Schöpfungsgedanke) umfasst etwas Allumfassendes, noch Undifferenziertes, das mit den verschiedenen Schöpfungsakten Gestalt annimmt.
So wie astrophysikalisch der Urknall. Da verdichtet sich Materie ununterscheidbar zu einem schwarzen Loch und explodiert in einem Energie entladenden Akt zu einem neuen Universum.
Als "Entwurf" können wir die im Absatz zuvor von mir benannte unbestreitbare Existenz einer Gotteskraft verstehen. Der Schöpfungsgedanke könnte als "Entwurf" verstanden werden.
Der Mensch versucht nicht, sich in die Schöpfung einzufügen, sich mit ihr eins zu fühlen, sondern die Schöpfung sich gefügig zu machen und über sie zu verfügen.
Die Sicht der Analytischen Psychologie
In der Sprache der Analytischen Psychologie von C. G. Jung wird die Gotteskraft als Archetyp bezeichnet. Auch ein "Entwurf", der in sich ein Entwicklungspotential birgt, dass es gilt vom persönlichen Bewusstsein zu erfassen und dem Selbstwerdungsprozess (Individuation) zuzuführen. Es geht darum, den inneren "Entwurf" aufzuspüren, um sich zu dem zu entwickeln, wie wir zutiefst angelegt und gemeint sind. Selbstverwirklichung meint in diesem Kontext, das Selbst, den Ursprung allen Seins, zu verwirklichen.
Es ist das Verdienst von C. G. Jung in einer tiefer liegenden Schicht des persönlichen Unbewussten mit seinen Wünschen, Affekten, Trieben, eigenem Erleben und verdrängten Ereignissen ein kollektives Unbewusstes erkannt zu haben. Zu diesen finden wir Zugang über unsere Träume. Dazu schreibt C. G. Jung: "Die Träume können unmöglich nur hervorgegangen sein aus neurotischen Deformationen, aus schuldbedingten Abwehrmaßnahmen, aus gesellschaftlich zeitbedingtem Druck, sondern da ist etwas buchstäblich Ewiges im Menschen, wenn man denn die riesigen Zeitkorridore der Evolution einmal ein bisschen pathetisch so beschreibt."
Mit diesem "Ewigen" gilt es in Kontakt zu kommen. Den komprimierten Kern der Archetypen nennt Jung das Selbst. Das Selbst umfasst die Ganzheit der Persönlichkeit. Es ist das Zentrum, aus dem alle weiteren archetypischen (Entwicklungs-) Facetten hervorgehen, sich differenzieren und die Selbstwerdung (Individuation) des Menschen fördern. Symbolisch lässt sich das Selbst mit einer Kreismitte vergleichen, aus der sich der Kreis entfaltet .
Der alttestamentliche Schöpfungsmythos kann als ein archetypischer Entwicklungsprozess betrachtet und verstanden werden. Am Anfang war die ungeschiedene, einheitliche göttliche Existenz, aus der heraus sich die Schöpfung entfaltete.
C. G. Jung maß dem Selbstbegriff numinose, d. h. göttliche Bedeutung bei. Zum archetypischen Charakter gehört u. a. auch, dass sein mythologischer Gehalt in vielgestaltiger Form in anderen Kulturen zu finden ist.
Der Mensch in der Schöpfungsgeschichte
Martin Buber übersetzt 1. Mose 1,26 – 28 wie folgt:
"Machen wir den Menschen in unserem Bild nach unserem Gleichnis! … Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, männlich, weiblich schuf er sie. Gott segnete sie. Gott sprach zu ihnen: Fruchtet euch und mehret euch und füllet die Erde und bemächtigt euch ihrer! "
Wenn Gott sich in der Schöpfung verwirklichte und zugleich den Menschen als sein Ebenbild erschuf, darf davon ausgegangen werden, dass die Menschen seine Schöpfung im Sinne des Ebenbildes hüten und bewahren sollten. Wer mag schon zerstören, was er selber erschaffen hat. - Der Mensch ist ein Teil der komplexen göttlichen Schöpfung.
Häuptling Seatlle und sein Volk der Suquamish und Duwamish hatten dieses Bewusstsein und die Verantwortung für Gottes Schöpfung verinnerlicht:
"Die Erde ist unsere Mutter. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. … Der Mensch schuf nicht das Gewebe des Lebens, er ist darin nur eine Faser. Was immer ihr dem Gewebe antut, das tut ihr euch selber an."
Auch der Sonnengesang des Franz von Assisis bekundet Ehrfurcht und Respekt vor Gottes Schöpfung:
"Gelobt seist du, mein Herr,
mit allen deinen Geschöpfen."
Welch ein Gegensatz zu der Fehldeutung, sich die Erde untertan zu machen, geht es doch darum, die Schöpfung zu bewahren.
Verlust der Einheit von Mensch und Natur
Die Vormachtstellung des Menschen und sein Herrschaftsanspruch über die Schöpfung rührt aus der Spaltung zwischen Natur und Mensch, statt von der Einheit der Schöpfung. Die sechs Schöpfungstage stellen keine wertende Rangfolge dar. Die Schöpfung verstehe ich als eine Einheit, als eine Ganzheit, in der es keine Rangfolge gibt. Was zuerst geschaffen wurde, ist nicht wertvoller wie das, was zuletzt erschaffen wurde. Das Dach eines Hauses ist nicht wertvoller wie das Fundament des Kellers.
Wenn der Mensch die Krone der Schöpfung sein soll, dann würde ich mir wünschen, wenn er dem archetypischen Bild von Königen und Königinnen in Märchen entspräche. Dort steht die Krone für Verantwortung, für das Wohlergehen des Volkes. Für geregelte Verhältnisse, die das solidarische Miteinander und Gerechtigkeit gewährleisten. (Auch wenn die Gesellschaft in den Märchen Spiegel der bürgerlichen und damit hierarchischen Strukturen sind.)
Das Missverständnis der Ebenbildschaft des Menschen mit Gott besteht darin, dass der moderne Mensch die Natur als Gegenstand seines Forschungsdranges betrachtet. Bis dahin, dass Lebewesen geklont werden können. Der Mensch erhebt sich zum Creator. Er zwingt die Natur, ihre Geheimnisse preis zu geben, um sich – wie Gott – die Herrschaft über die Natur anzueignen.
Wenn der Mensch auch die Natur nicht geschaffen hat, so vermag er inzwischen, sie nachhaltig zu vernichten. Die Kernspaltung ist Menschenwerk. Keine Naturkatastrophe kann die Natur derart nachhaltig unbelebbar machen, wie die atomare Verseuchung, sei es durch defekte Atomkraftwerke oder Atombomben. Naturkatastrophen können durchaus auch verheerende Ausmaße haben. Doch die Natur regeneriert sich selbst.
Jedenfalls so lange bis die Sonnenkraft erlischt. Zumindest auf unserem Planeten.
Gott wird symbolisch häufig als Sonne dargestellt, z. B. in dem Kirchenlied "Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unserer Zeit". Da stellt sich mir die Frage, was geschieht, wenn nicht nur die Sonnenkraft sondern viel mehr noch die Gotteskraft erlischt?
Es wäre falsch, die Natur euphemistisch zu beschönigen. Die Natur bringt Leben hervor und nimmt es. Goethe nennt das Naturgesetz das "ewige Stirb und Werde". Das Vergehen und das Sterben entspricht einem natürlichen Lebensverlauf. Mutwilliges Zerstören und Vernichten dagegen einer destruktiven menschlichen Handlung.
Nicht ausbeuten – viel mehr kultivieren
Die Formulierung, der Mensch solle sich die Erde untertan machen, sich ihrer bemächtigen, wie es Martin Buber übersetzt, spiegelt ein hierarchisches Weltverständnis wider, in dem die Mächtigen über die Ohnmächtigen verfügen können.
Der Mensch unterscheidet sich von den anderen Wesen der Schöpfung, dass er meint, über sein Leben bestimmen zu können, dass er seinen eigenen Willen durchsetzen kann und ein eigenes Bewusstsein seiner selbst hat. (Lassen wir mal unberücksichtigt, ob das wirklich so stimmt oder nur eine Selbstbehauptung der Menschen ist.)
Die anderen Wesen der Schöpfung folgen dem inneren Schöpfungsplan. Sie haben keinen eigenen Willen, sich dem zu entziehen. Sie sind sozusagen reine Natur.
Wie haben wir dann menschliche Formulierungen zu verstehen und einzuordnen, sich der eigenen Natur entfremdet zu haben, nicht die wahre Natur zu leben? Oder gar die Sehnsucht, zurückzufinden in die Natur?
Weisen diese umgangssprachlichen Formulierungen nicht auf das tief verwurzelte Wissen hin, dass wir mit uns eins sind, wenn wir auch mit der Natur eins sind?
Könnte dies als die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies verstanden werden? Dem (paradiesischen) Zustand als der Mensch noch eins mit der Natur war? Und könnte dann die Missachtung der Naturgesetze, die zerstörerischen Eingriffe in die Natur als aggressive Abwehr gegen die Vertreibung aus dem Paradies verstanden werden? Etwa nach dem infantilen Verständnis, wenn wir nicht bekommen, was wir wollen, zerstören wir es?
Dann könnte die Sehnsucht, "Zurück zur Natur" ein Weg zurück in das Einheitsverständnis zwischen Natur und Mensch werden. Nicht, wie sie im Paradies bestanden hat, sondern mit dem bewussten und verantwortlichen Wissen um die Polaritäten der Welt, mit dem Bewusstsein, unterscheiden zu können zwischen "gut" und "böse". Zurück zur Natur könnte dann bedeuten, zurück zu unseren Wurzeln, zum alttestamentlichen Geist der Ursprungs- und Schöpfungsgeschichte.
Es geht nicht darum, die Natur sich selbst zu überlassen. Das würde zu einem Wildwuchs führen, dem im Sinne des Schöpfungsplanes entgegen gewirkt werden sollte. Nicht gegen die Schöpfung zu agieren, sondern ihren "Entwurf" wahrzunehmen und zu kultivieren.
Ein Artensterben gab es schon seit Jahrtausenden. Das ist nicht unbedingt ein Produkt der Neuzeit. Die Evolution kennt kein Erhalten eines Zustandes, sondern ein Fortschreiten im Sinne des ewigen Stirb und Werde. Was sowohl die Schöpfung, den Menschen und das Gottesbild einbezieht. Wenn Evolution Wandlung bedeutet, sollte dies alles umfassen und nichts aussparen.
Die Vertreibung aus dem Paradies hatte u. a. nach 1. Mose 3,19 zur Folge: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen. Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück."
In der Beisetzungsformel am Grab wird auf diese Erdhaftigkeit unseres Seins Bezug genommen: "Aus der Erde sind wir genommen, zur Erde sollen wir wieder werden. Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub ..."
Drückt dieser Bogen vom Anfang der Schöpfung bis zum sterblichen Ende hin nicht aus, woraus wir substantiell geschaffen sind? Aus dem Stoff der Natur, Erde. Das wir zu unserem Ursprung zurückkehren, aus dem wir gekommen sind und dessen "Entwurf" wir in uns selbst verwirklichen sollten.
Tanz in Beziehung
zu Natur – Mensch - Kultur
Wir bevorzugen in unseren Tanzformen die Kreisform. Als Tanzende befinden wir uns auf der Peripherie, symbolisch für unsere Lebensbahn, und bewegen uns um die Kreismitte. Auch wenn unsere Blickrichtung nicht auf die Kreismitte ausgerichtet sein sollte, bleibt unsere Kreis- und Lebensbahn bezogen auf die Kreismitte.
Die Mitte des Kreistanzes kann symbolisch als Zentrum unseres Lebens aufgefasst werden. Vom Zentrum (dem Ursprung des Kreises und des Lebens) geht alles aus, expandiert das Leben, und kehrt zu ihm zurück, zentriert sich.
Das Zentrum steht nicht für unsere Willenskraft. Das wäre ego-zentrisch. Da steht das Ego, unser Ich, im Zentrum. Wir drehen uns um uns selbst.
Bei einer konzentrischen Ausrichtung weitet sich die Bewegung und das Bewusstsein von der Mitte aus, dem "Entwurf", nach außen, ins Leben. (Wie bei einem Stein, den wir ins Wasser werfen und sich konzentrische Kreise bilden.) Je weiter wir uns von der Mitte entfernen, distanzieren, desto schwächer werden die von der Mitte ausgehenden Schwingungen.
Die konzentrische Ausrichtung bleibt in Beziehung zu Mitte. Anders die exzentrische Ausrichtung. Sie tendiert in die Welt hinaus. Ihre Orientierung gilt der Welt, der Anpassung an die Bedingungen, die die äußere Welt an uns richtet.
Bei der exzentrischen Ausrichtung geht die Verbindung zur Mitte verloren.
C. G. Jung hat die exzentrische Ausrichtung die Persona-Haltung genannt: unsere Anpassung an die Erfordernisse der äußeren Welt. Die Ausbildung der Persona gehört in die Phase der ersten Lebenshälfte mit schulischer und beruflicher Ausbildung, mit Knüpfen von Beziehungen und Lebensgemeinschaften, Etablierung in Beruf und Gesellschaft bis hin zur Schaffung eines eigenen Hauses.
Mit dem Beginn der zweiten Lebenshälfte werden die Ansprüche der inneren Welt vorrangiger. Diese werden aus dem Kern der Gesamtpersönlichkeit angeregt, dem Selbst. Wir könnten es mit der selbstkritischen Anfrage verstehen, "Soll das denn schon alles gewesen sein?" Die Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens finden sich in der Rückbesinnung auf unseren Ursprung, dem Selbst.
Die Natur von Yin und Yang
Im Verständnis der daoistischen Terminologie von Yin (Verdichten) und Yang (Weiten) entspräche die konzentrische Bewegung dem Yin (Zentrieren) und die exzentrische Bewegung dem Yang (Weltbezogen).
Im Sinne der Polarität gehört zum Yin auch ein Yang wie umgekehrt zu jedem Yang ein Yin. Wenn beide – wie im Taiji-Zeichen [ – in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, sprechen wir von einem Zustand der Harmonie. Weil Yin und Yang dynamische Kräfte darstellen, kommt es darauf an, dass die beiden Kräfte in einem sich gegenseitig ausgleichenden und sich gegenseitig fördernden Verhältnis miteinander kommunizieren.
Daraus können wir ableiten, dass jede einseitige, d. h. überwertige Ausrichtung des Ausgleiches der je vernachlässigten Ausrichtung bedarf. Wenn die Zentrierung (Yin) zu sehr dominiert, fehlt es an Verwirklichung in der äußeren Welt (Yang). Was wir mit weltfremd bezeichnen. Bei einer zu starken Yin-Ausrichtung sollte die schwache Yang-Ausrichtung gestärkt werden. Wenn wir zu abgehoben sind, fehlt uns die Erdung und es bedarf – nicht zuletzt über den Körper - der korrigierenden Erdung, dem Hineinstellen ins "Hier und Jetzt".
Wie auch umgekehrt. Wenn die Anpassung an die äußere Welt (Yang) übermäßig betont wird, bedarf es des Ausgleiches durch ein zu stärkendes Yin (Zentrierung, Sinnsuche).
Lebensfördernd ist demnach ein ständiger Wechsel von konzentrischer und exzentrischer Bewegung bzw. Ausrichtung. So wie wir uns in unseren Tanzformen zur Kreismitte bewegen und aus der Mitte zurück auf die Kreis- bzw. Lebensbahn. Wir lassen uns von der Kreismitte anziehen und bringen die Begegnung mit der Kreismitte wieder zurück in unser Leben. Entscheidend ist, wie wir die Kreismitte im Tanz für uns besetzen; nicht gestalterisch, sondern symbolisch inhaltlich.
Kultur: Umkreisung der Mitte
Mit Bezug auf unser Thema Natur – Mensch – Kultur können wir die Mitte des Kreistanzes für den Kern unserer Gesamtpersönlichkeit ansehen, den C. G. Jung das Selbst nannte. Die Beziehung zum Selbst, symbolisch die Kreismitte als Zentrum unseres Lebens, drückt sich in zwei zentralen Fragen aus.
Die Frage "Wohin richten wir uns aus?" steht für die Ausrichtung zur Kreismitte. Und die Frage "Von was lassen wir uns leiten?" für die Offenheit der Impulse aus der Kreismitte.
Zum Schluss möchte ich Ulrich Schaffer in seinem Gedicht "Nicht mehr und noch nicht" zitieren. (Ulrich Schaffer, Neues umarmen, Kreuz Verlag Stuttgart 1984) Er formuliert eindrücklich den Wandlungsauftrag des Zentrums aus, um das wir tanzen, auf das wir uns zubewegen und auch wieder zurückkehren.
"Ich will mich der Veränderung nicht entziehen.
Ich will loslassen,
um wieder Neues umarmen zu können.
Und auch das will ich wieder loslassen,
in einer ständigen Entwicklung
auf meinen Ursprung zu,
auf die Vollkommenheit, aus der ich komme
und zu der ich gehe."
Was es in unserem Leben zu verändern, d. h. aufzugeben und loszulassen gilt, um der Wandlung die Türen zu öffnen, ist in meinem Verständnis Auftrag und Perspektive unserer Tanzform, wie immer wir sie nennen: das Umkreisen der Mitte. Im Umkreisen der Mitte kultivieren wir – im Sinne der Schöpfungsgeschichte – unsere innerste Natur, die wahre Natur.
Wenn mein Gedankenkreisen auch zu einer Umkreisung der Mitte angeregt haben sollte, wäre ich zufrieden.